Schlechter Tag für die Türkei

Jetzt ist es durch. Das Referendum in der Türkei für ein Präsidialsystem, welches die parlamentarische Demokratie faktisch ersetzt, ist mit einer knappen Mehrheit von 51,4% Realität geworden. Unstimmigkeiten bei den Wahlen, die durch die beiden Oppositionsparteien CHP und HDP angeführt werden (siehe Link), werden an dem Ergebnis nichts mehr ändern. Die Wahlkommission hat die Unstimmigkeiten bzw. die in diesem Zusammenhang stehenden Wahlzettel bereits für gültig erklärt.
Wer jetzt meint, dass das Referendum demokratisch angenommen wurde, weil die Wahl einigermaßen korrekt abgelaufen ist, der irrt. Zu der Wahl gehört auch der Wahlkampf. Und dieser ist alles andere als demokratisch abgelaufen. Oppositionelle wurden eingeschüchtert oder eingesperrt, Proteste und Kundgebungen gegen das Präsidialsystem wurden verboten oder gewaltsam aufgelöst, Demonstranten wurden verhaftet. Über Kundgebungen gegen das Referendum wurde in den staatlichen Medien nicht berichtet. Damit wurde jedem in der Türkei vor Augen geführt was passiert wenn man sich gegen Erdogan und das Präsidialsystem stellt. Und das alles im Ausnahmezustand, der seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 gilt und im Zuge dessen zehntausende von Militärs, Polizisten, Beamten und Lehrkräften entlassen und viele davon auch eingesperrt wurden.
Wer jetzt behauptet, dass alle Menschen in der Türkei vor dem Hintergrund all dieser Geschehnisse frei wählen können, der hat die Demokratie nicht verstanden.

Was mir zu denken gibt, dass vor allem die Türken außerhalb der Türkei mehrheitlich für das Referendum waren. In Deutschland haben von den 1,4 Mio Türken rund 50% gewählt. Und von diesen 50% haben 63,2% mit "Ja" gestimmt. D. h. mehr als 1/3 der in Deutschland lebenden Türken haben für die Verfassungsänderung gestimmt. In Holland waren über 67%, in Frankreich und Dänemark über 60% der Wählenden für das Referendum. Bei dem knappen Ausgang haben also die Wähler außerhalb der Türkei maßgeblich einen großen Anteil an dem Sieg des "Ja"-Lagers. Also Menschen, die selbst in gefestigten Demokratien leben, aber den Menschen in der Türkei jetzt eine Autokratie beschert und ihnen damit einen Bärendienst erwiesen haben. Da stelle ich mir die Frage wie weit es bei deisen Türken mit dem Verständnis für Demokratie ist?

Ein anderer Aspekt ist die regionale Verteilung der "Ja" und "Nein" Wähler in der Türkei. Im westlichen Teil der Türkei in und um die großen Städte wie Istanbul, Izmir etc., in und um die Hauptstadt Ankara und im Südosten im kurdischen Teil der Türkei wurde mehrheitlich mit "Nein" gewählt. Im restlichen Land, also primär auf dem Land wurde mehrheitlich mit "Ja" gewählt. Hier zeigt sich mal wieder, dass der aufgeklärte, liberale und gebildete Teil der Bevölkerung für den Bestand der Demokratie ist und der eher traditionelle, konservative und eher weniger gebildete Teil der Bevölkerung sich anscheinend einen starken Führer wünscht. Trotz des Wissens und der Erfahrung aus anderen Ländern mit solchen Autokraten bzw. Diktatoren.

Wie es nun weiter geht werden wir sehen. Eine erste Entscheidung hat Erdogan je bereits verkündet. Er will die Todesstrafe wieder in der Türkei einführen. Das gibt ja schon den richtigen Vorgeschmack auf das was kommt.

Wie beendet man einen solchen Blogpost? Bei der Wahl gibt es nur einen Sieger und das ist Erdogan. Die Menschen aus dem "Ja"-Lager sind bereits heute schon Verlierer, auch wenn sie es selbst noch nicht erkannt haben.

Nachtrag: Hasnain Kazim beschreibt in seinem Artikel Das merkwürdige Wahlverhalten der Deutschtürken das von mir oben angeführte Verhalten der Türken im Ausland.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Offshore-Windparks in der Nordsee

130

Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band